Keynote Speaking ist kaputt. Dabei brauchen wir es dringender denn je.

Wolfgang Gehrer auf der Bühne

Es gibt ein paar Wahrheiten, über die in der Speaker Szene ungern gesprochen wird. Wahrheit Nummer eins: Die meisten Keynote Speaker sind selbst ernannte Experten. Das ist nicht einmal böse gemeint, es ist einfach ein Prozess mit erstaunlich niedriger Hürde. Du brauchst keinen Titel, keine Zertifizierung, keinen Beweis, keinen Track Record. Ein bisschen Bühnenmut, ein bisschen Selbstvermarktung, ein paar gute Fotos im Gegenlicht, und schon bist du Experte.

Das Problem entsteht erst dann, wenn die eigentliche Aufgabe eines Speakers aus dem Blick gerät. Denn die Aufgabe lautet nicht: Auf einer Bühne gut aussehen. Sie lautet: Menschen in kurzer Zeit klüger, motivierter und angereicherter zurücklassen als vor deinem Auftritt.

Und genau da läuft gerade einiges schief.


Die große Illusion der Perfektion

In professionellen Speaker Kreisen wird man dir sagen, ein guter Vortrag endet sekundengenau. Man nennt das dann Time Management und verkauft es wie eine olympische Disziplin. Ganz ehrlich: Was für ein Quatsch.

Wenn ein Vortrag so durchchoreografiert ist, dass jede Silbe an der gleichen Stelle fällt wie bei den letzten neunundvierzig Auftritten, ist das kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Warnsignal. Es bedeutet, dass der Speaker nicht spricht, sondern performt. Poliert, choreografiert, steril. Und ja, das kann beeindruckend aussehen, aber es bringt die Menschen inhaltlich selten weiter.

Denn perfektes Timing ersetzt keine Erkenntnis.

Die PowerPoint Parade

Ein weiteres Phänomen: PowerPoints, die vorgelesen werden. Und damit meine ich nicht nur schlechte Slides. Ich meine Texte, die aussehen, als hätte jemand versucht, Google in Comic Sans nachzubauen. Der Speaker steht daneben, klickt sich durch und liest ab, was alle längst sehen.

Das Publikum denkt sich:

Warum erzählt er uns das?

Warum erzählt er es so?

Und vor allem: Warum tut er sich das selbst an?

Dazu kommt die Recycling Industrie des Humors. Dieselben Witze, dieselben Geschichten, dieselben Dramaturgien. Manchmal nur leicht umgebaut, manchmal komplett kopiert. Und das alles, weil irgendwo jemand beschlossen hat, dass ein Keynote Speaker eigentlich ein Entertainer sein muss.

Ganz klar: Humor ist gut. Entertainment ist gut. Aber es gibt eine Grenze zwischen einem Keynote Speaker und einem Comedian. Wer als Speaker gebucht wird, soll nicht nur unterhalten. Dafür gibt es eine andere Branche, andere Bühnen, andere Gagenmodelle.


Die echte Kunst beginnt, wenn der Inhalt übernimmt

Ein guter Speaker weiß, dass ein Vortrag kein Zirkus und kein Stand-up ist. Ein Vortrag ist ein Transfer. Energie gepaart mit Erkenntnis. Unterhaltung nur so weit, dass sie den Zugang erleichtert. Wie Zucker im Kaffee: ein bisschen macht wach, zu viel macht die Brühe klebrig.

Die Frage ist nicht:

Hast du gelacht?

Hast du gestaunt?

Hast du dich gut unterhalten gefühlt?

Die Frage ist:

Bist du nach dieser Keynote ein Stück schlauer?

Hast du eine neue Perspektive gewonnen?

Hat dein Denken einen kleinen Riss bekommen, durch den Licht fällt?

Wenn ja, dann war es gut.

Wenn nein, dann war es Show.

Und wenn du all das nicht durch Witze und Timing, sondern durch echten Inhalt erreicht hast, dann bist du Weltklasse.


Die Rückkehr zum Wesentlichen

Ein wertvoller Vortrag entsteht nicht durch perfekte Dramaturgie, sondern durch Klarheit. Durch Mut, etwas zu sagen, das man nicht überall hört. Durch Kompetenz, die nicht prahlt. Durch Geschichten, die tragen. Durch Substanz, die bleibt.

Ich bin selbst lange genug durch diese Industrie gelaufen, habe alles mitgemacht, alles ausprobiert und vieles hinterfragt. Vielleicht klingt das deshalb heute etwas provokant. Vielleicht sogar frech. Aber manchmal muss man die Verpackung zerreißen, um wieder an das Produkt zu kommen.

Keynote Speaking ist ein Handwerk, kein Show Act.

Es ist eine Verantwortung, keine Performance.

Es ist ein Dienst am Publikum, kein Applausgenerator.

Wir brauchen weniger Speaker, die glänzen.

Und mehr Speaker, die etwas zu sagen haben.

Denn wenn du etwas Wertvolles zu erzählen hast, und du kannst es so vermitteln, dass Menschen nicht nur zuhören, sondern mitdenken, mitfühlen, sich bewegen lassen, dann passiert etwas. Dann entsteht Wirkung. Dann entsteht Veränderung.

Und dann ist es auch egal, ob du auf die Sekunde genau endest.

Fazit:

Keynote Speaking ist nicht kaputt, weil es schlechte Speaker gibt.

Es ist kaputt, weil die Prioritäten verrutscht sind.

Zeit, sie wieder geradezurücken.

Keynote Speaking ist kaputt. Dabei brauchen wir es dringender denn je.

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